Raumwinkelmaß und die Schallabstrahlung von Außenbauteilen

Immer wieder erreichen uns Fragen zum Thema Raumwinkelmaß und deren Verwendung. Dies schließt auch sehr erfahrene Nutzer ein, daher haben wir uns dazu entschieden, ein Empfehlungsschreiben aufzusetzen.

Was ist das Raumwinkelmaß?

Ausbreitungssoftware im Schallimmissionsschutz kennt als Emittenten im Grunde nur Punktschallquellen (Flächen- und Linienschallquellen werden als solche zerlegt) mit einem definierten Schallleistungspegel. Prinzipiell geht man davon aus, dass die Schallleistung stets omnidirektional (also in alle Richtungen gleichmäßig) abgestrahlt wird. In der ISO 9613-2 ergibt sich der berechnete Immissionspegel ausgehend von dem Schallleistungspegel durch den Abzug eines Dämpfungsterms A und der Addition einer evtl. vorliegenden Richtungskorrektur. Der Dämpfungsterm A beinhaltet hierbei (neben Termen für die Luftabsorption, Bodeneffekte und Abschirmung) die Dämpfung aufgrund geometrischer Ausbreitung. Diese ergibt sich dadurch, dass die Energie gleichmäßig auf eine Kugeloberfläche verteilt wird.

In 1 m Abstand zu der Punktschallquelle liegt die Dämpfung aufgrund geometrischer Ausbreitung bei einem diskreten Punkt bei 11 dB, da sich die Energie gleichmäßig auf einer Kugel mit Radius r=1 m und der Oberfläche OK verteilt:

OK = 4πr2 mit r = 1→A = 10 log(4π12 ) = 11 dB

Sofern die Quelle eine Richtwirkung aufweist bzw. die gesamte Energie nur in einen Raumbereich abstrahlt, sieht die ISO eine Richtwirkungskorrektur DC vor, die den berechneten Immissionspegel um die Abweichung zwischen omnidirektionaler und gerichteter Schallabstrahlung erhöht oder verringert. Die ISO 9613-2 kennt die Reflexionen über Boden und Flächen (z. B. Hausfassade) und von daher muss man sich im ersten Ansatz keine Gedanken darübermachen, ob die Energieanteile, die über die reflektierenden Flächen den Immissionsort erreichen, in der Berechnung beachtet werden, da diese Anteile von der Prognose-Software berechnet werden.

Die Richtwirkungskorrektur spielt demnach nur eine Rolle, wenn die Quelle selber gerichtet ist (z. B. Lautsprecher), was über die Funktion Richtwirkung in der Software IMMI definiert wird. Komplizierter wird es jedoch, wenn die abstrahlende Fläche Bestandteil eines Gebäudes ist bzw. die Schallquelle mit dem Gebäude baulich verbunden ist.

DIN EN 12354-4 – Schallübertragung von Räumen ins Freie (Eingangsgröße ist ein Innenpegel)

Eine typische Aufgabenstellung im Schallimmissionsschutz ist die Berechnung der Lärmeinwirkung aus einem Gewerbebetrieb auf umliegende Wohnnutzungen. Einen wesentlichen Anteil kann hierbei die Abstrahlung von geräuschintensiven Arbeiten in einer Werkhalle über

  • die Außenwände,
  • geöffnete Fenster oder
  • Lüftungsöffnungen haben.

Für diese und vergleichbare Fälle können in IMMI Flächenschallquellen für die Fassaden sowie integrierte Teilflächen (z. B. für Fenster oder Lüftungsöffnungen) definiert werden, für die ein wirksamer Schalleistungspegel aus der Eingangsgröße Innenpegel im Raum unter Nutzung der Norm DIN EN 12354-4 /1/ berechnet wird.

Die Norm unterscheidet hierbei zwei Arten von abstrahlenden Flächen (siehe /1/, Anhang D):

  • Ebener Strahler und
  • Öffnung.

Der ebene Strahler ist hierbei als ein abstrahlendes Außenbauteil zu verstehen (z. B. Wand, Fenster, Tür, ...) und die Öffnung als offene Fläche (z. B. offenstehendes Tor, aber auch Lüftungsöffnung mit innenliegendem Schalldämpfer). Gemäß /1/ wird jede abstrahlende Fläche bzw. Öffnung wiederum in einzelne Ersatzpunktschallquellen zerteilt, deren Schallleistungspegel sich ergibt aus:

  • Innenpegel,
  • Diffusitätsterm,
  • Schalldämmmaß (bei Öffnungen mit R = 0)
  • Richtwirkungskorrektur.

Die Richtwirkungskorrektur DC ergibt sich (in Analogie zur ISO 9613-2) aus dem Richtwirkungsmaß DI und dem Raumwinkelmaß D.

DIN EN 12354-4 – Richtwirkungskorrektur?

Bei der Frage, ob eine abstrahlende Fläche mit einem Raumwinkelmaß versehen werden muss, ist zwischen einem ebenen Strahler und einer Öffnung zu unterscheiden.

Ebener Strahler:
Gemäß /1/, Anhang D.1, erfolgt die Schallabstrahlung zwar nur in eine Halbkugel (Halbraum vor Fassade), da jedoch in der Praxis die Richtwirkungskorrektur DC zwischen ± 5 dB schwankt, „darf ein Mittelwert von DC = 0 dB für Abstrahlwinkel zwischen 0° und 90° bezogen auf die Flächennormale angenommen werden“ (/1/, Anhang D.1). Das Raumwinkelmaß von 3 dB ist hierbei bereits eingeschlossen (siehe /1/, Anhang G.2.2, Tabelle G.3, Fußnote b).

Öffnung:
Gemäß /1/, Anhang D.2, strahlt eine Öffnung hauptsächlich senkrecht zur Öffnungsfläche ab. Hierdurch ergibt sich ein Richtwirkungsmaß welches in grober Näherung zwischen DI = 2 dB und DI = 10 dB schwankt. Zusätzlich wird folgender Hinweis aufgenommen: „Bei einer Öffnung in einer Ebene oder nahe (d. h. im Abstand von weniger als einer Wellenlänge) bei einer oder mehreren reflektierenden Flächen kann der Einfluss dieser Ebenen durch die Richtwirkungskorrektur berücksichtigt werden, indem der Raumwinkel betrachtet wird, in den hinein Schall abgestrahlt werden kann.“ (/1/, Anhang D.2). Eine konkrete Empfehlung wird jedoch nicht definiert. Erst im Anhang G, Rechenbeispiel, wird für eine schallgedämpfte Lüftungsöffnung ein Wert von 3 dB für die Richtwirkungskorrektur DC genannt, welcher das Raumwinkelmaß D bereits enthält (siehe /1/, Anhang G.2.2, Tabelle G.6, Fußnote a).

Was ist zu tun, wenn die Eingangsgröße ein Schallleistungspegel ist?

In manchen Fällen kann es auch sinnvoll sein, einem abstrahlenden Bauteil direkt einen Schallleistungspegel zuzuweisen (z. B. auf Basis von Messungen) bzw. kurz vor der Außenwand ein baulich verbundenes Aggregat mit einem vorgegebenen Schallleistungspegel zu platzieren. In solchen Fällen sollte immer ein Raumwinkelmaß von D = 3 dB vergeben werden. Andernfalls wäre der berechnete Pegel um 3 dB zu niedrig, da die ISO 9613-2 davon ausgeht, dass die Schallleistung in den Vollraum abgestrahlt wird. IMMI definiert in den Referenzeinstellungen grundsätzlich einen Freiraum von 1 m vor Reflexionsflächen für Quellen und Immissionsorte (dieser kann in den Berechnungsparametern verändert werden, wir empfehlen jedoch die Grundeinstellung). Demnach werden in einem Abstand bis 1 m zu den Wänden keine Reflexionen in der Berechnung beachtet.

Grundsätzlich lässt sich dieses Freifeld auch auf 0 m setzen, doch führt eine Reflexion nicht zu den 3 dB, da mit jeder Reflexion auch ein Absorptionsverlust einhergeht. Für Quellen, die der Fläche vorgelagert sind ist dies auch sinnvoll (und demnach sollten sie in einem Abstand > 1 m vor der Wand modelliert werden), aber baulich verbundene Flächen sollten das korrekte Raumwinkelmaß von 3 dB im Berechnungsansatz aufnehmen.

Zusammenfassung

Für schallabstrahlende Bauteile ist in Abhängigkeit der Eingangsgröße und der Art der abstrahlenden Fläche bei der Vergabe eines Raumwinkelmaßes zu differenzieren. Sofern die Eingangsgröße ein vorliegender Innenpegel ist, der über ein Außenbauteil abgestrahlt wird, ist auf Grundlage der Norm DIN EN 12354-4 bei der Vergabe eines Raumwinkelmaßes wie folgt vorzugehen:

  • Ist die abstrahlende Fläche ein Außenbauteil (Wand, Dach, geschlossene Tür, ...) ist keine Richtwirkungskorrektur und demnach bei Berechnung nach ISO 9613-2 kein Raumwinkelmaß anzusetzen (DC = 0, beinhaltet bereits ein Raumwinkelmaß von 3 dB).
  • Ist die abstrahlende Fläche eine Öffnung (offene Tür, Lüftungsöffnung, ...) ist eine Richtwirkungskorrektur von DC = 3 dB und demnach bei Berechnung nach ISO 9613-2 ein Raumwinkelmaß von 3 dB anzusetzen (DC = 3, beinhaltet ein Raumwinkelmaß von 3 dB).

Ist die Eingangsgröße ein Schallleistungspegel, ist stets ein Raumwinkelmaß von D = 3 dB anzusetzen. Hierbei ist darauf zu achten, dass die Quelle in einem Abstand von weniger als 1 m vor der Fassade platziert wird (was bei der Funktion „Öffnung konstruieren“ gewährleistet ist), weil andernfalls zusätzlich Reflexionen über die Fassade in die Berechnung eingehen, welche bereits über das definierte Raumwinkelmaß abgebildet sind.

/1/ Bauakustik – Berechnung der akustischen Eigenschaften von Gebäuden aus den Bauteileigenschaften – Teil 4: Schallübertragung von Räumen ins Freie (ISO 12354-4:2017); Deutsche Fassung EN ISO 12354-4:2017

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